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15.04.2015

Kultus- und Sozialministerium schreiben neues Programm für Alphabetisierung und Grundbildung über ESF-Mittel aus

Staatssekretärin Marion v. Wartenberg: „Die wissenschaftlichen Erkenntnisse über eine hohe Zahl von Analphabeten in Deutschland sind alarmierend. Wir müssen unsere Anstrengungen deshalb dringend ausweiten.“

Das Kultusministerium will erreichen, dass mehr Analphabeten im Land besser Lesen und Schreiben lernen. Dazu schreibt es in Zusammenarbeit mit dem Sozialministerium über ESF-Mittel ein neues Programm aus, mit dem Weiterbildungsträger ab Herbst neue Kurse anbieten können. Damit sollen neben reinen Analphabeten auch sogenannte funktionale Analphabeten angesprochen werden, die zwar über Grundkenntnisse im Lesen und Schreiben verfügen, damit aber in Alltag und Beruf nicht weit kommen. „Die wissenschaftlichen Erkenntnisse über eine hohe Zahl von Analphabeten in Deutschland sind alarmierend. Wir müssen unsere Anstrengungen deshalb dringend ausweiten“, erklärte Staatssekretärin Marion v. Wartenberg. Die neue Ausschreibung mit Hilfe von Mitteln des Europäischen Sozial-Fonds (ESF) stellt für die Jahre 2015 bis 2021 rund eine Million Euro zur Verfügung (www.esf-bw.de). Sie ergänzt die Impulsprogramme des Landes aus den beiden vergangenen Jahren in Höhe von 200.000 und 175.000 Euro.

Die Landesregierung reagiert damit erneut auf Forschungsergebnisse. So hat die sogenannte Level-One-Studie (Leo) der Universität Hamburg ergeben, dass bundesweit rund 14 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung zwischen 18 und 64 Jahren als funktionale Analphabetinnen und Analphabeten eingeschätzt werden müssen, also 7,5 Millionen Menschen. In Baden-Württemberg trifft dies nach Angaben des VHS-Verbands auf rund eine Million Menschen zu. Auch die PIAAC-Studie der OECD zeigt die in Deutschland vorhandenen Probleme auf. Betroffenen fehlt dadurch die notwendige Grundbildung in vielen Situationen, ob beim Ausfüllen von Formularen aller Art, unterwegs auf Straßen, Bahnhöfen und Flughäfen oder im Internet sowie für die Teilnahme an Wahlen. Zudem wird inzwischen in fast allen Berufen eine Lese- und Schreibkompetenz vorausgesetzt.

Dabei sind rund 57 Prozent der funktionalen Analphabeten erwerbstätig. Wer aber nur über stark eingeschränkte Lese- und Schreibfähigkeiten verfügt, kann keine Arbeitsanweisungen oder Bedienungsanleitungen studieren und fällt für eine Fortbildung aus. Arbeitnehmer müssen sich aber angesichts der Veränderungen in der Arbeitswelt mithilfe von Fortbildungen ständig an veränderte Abläufe anpassen. Zudem sind die Unternehmen angesichts des demografischen Wandels und des Fachkräftemangels zunehmend auf die Arbeitskompetenz ihrer gering qualifizierten Beschäftigten angewiesen. Auch dies fördert eine verstärkte Weiterbildung. Wer hier nicht mitkommt, läuft in Gefahr, seinen Arbeitsplatz zu verlieren.

Rund 17 Prozent der funktionalen Analphabeten gelten als arbeitslos. Bei ihnen sind die Aussichten, wieder einen Arbeitsplatz zu finden, gering und Verarmung droht. Die Folgen für die Gesellschaft sind prekär. Wissenschaftlich ist zudem erwiesen, dass Eltern ihre fehlende Alphabetisierung und Grundbildung mit hoher Wahrscheinlichkeit an ihre Kinder weitergeben werden. „Hier stellt sich eine große Bildungsaufgabe, die in der Gesellschaft leider noch viel zu wenig wahrgenommen wird“, erläuterte die Staatssekretärin.

Neue Wege, um Betroffene zu erreichen

Erschwert wird die Situation dadurch, dass die Betroffenen oft davor zurückschrecken, sich zu ihrer Lese- und Schreibschwäche zu bekennen. Die Weiterbildungsträger müssen deshalb in Kursen und Öffentlichkeitsarbeit neue Wege gehen, um die Bereitschaft zur Teilnahme zu wecken. „Viele Analphabeten haben Angst vor drohenden Nachteilen oder einer Stigmatisierung. Wir brauchen deshalb einfallsreiche Angebote, um Betroffene zu erreichen und Ängste abzubauen“, erläuterte Marion v. Wartenberg. Die ESF-Ausschreibung fordert eine „niederschwellige, informelle und aufsuchende Ansprache“ direkt bei Betroffenen. Dies kann etwa in einer innovativen Form der Ansprache von Vertrauenspersonen geschehen, die am Arbeitsplatz, in der Familie oder im Freundeskreis in direktem Kontakt zur Zielgruppe stehen. Diese Anstrengungen machen eine enge Verzahnung zwischen allen Beteiligten der Weiterbildung notwendig.

Neu ist zudem, dass die bisherigen reinen Alphabetisierungsprogramme auf Bereiche der Grundbildung ausgedehnt werden. Dies kann den jeweiligen beruflichen Anforderungen entsprechen, aber auch Computer-Grundkurse oder ein Bewerbungstraining umfassen. Damit soll sowohl das Interesse an den Kursen gestärkt als auch das Gelernte hinterher direkt angewandt werden können. „Den Betroffenen muss klar gemacht werden, dass sie große persönliche Vorteile haben, wenn sie besser lesen und schreiben lernen“, unterstrich die Staatssekretärin.

Fachstelle soll Projekte koordinieren

Die Ausschreibung umfasst zwei Bestandteile. Zum einen können sich Weiterbildungsträger dafür bewerben, für die Ausrichtung von Kursen Zuschüsse zu erhalten. Die ESF schreibt allerdings vor, dass 50 Prozent der Kosten von den Trägern selbst übernommen werden müssen. Dieser Eigenanteil kann etwa durch Bereitstellung von Personal, die Übernahme von Mietanteilen oder von Reisekosten erbracht werden. Die Mindestzahl bei einem Kurs beträgt drei bis fünf Teilnehmende.

Zum anderen soll für die Dauer der Förderung eine Fachstelle Alphabetisierung und Grundbildung mit zwei Personalstellen errichtet werden, um die Projekte zu koordinieren, ihre Qualität zu sichern und sie landesweit zu vernetzen. Auch hierfür trägt die ESF 50 Prozent. Hier könnte das Land mit Hilfe des laufenden sogenannten „Lehrerprogramms“ den zweiten Teil der Kosten übernehmen. Dabei ordnet das Kultusministerium Lehrerinnen und Lehrer bei Interesse an Weiterbildungsträger ab. Eine solche Fachstelle kann auch von zwei Institutionen kombiniert werden, etwa einem Träger und einem Institut. Die Laufzeit der Projekte beginnt am 1. September 2015 und endet am 31. August 2018. Eine Verlängerung ist aber möglich. Danach werden die Kurse und die Fachstelle evaluiert.

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